Fehlerhafte Verfügungen und Klagen

Verfügungen von Todes wegen, d.h. Testamente oder Erbverträge, welche Mängel aufweisen, können je nach Mangel entweder nichtig oder ungültig sein oder Pflichtteilsrechte verletzen. Ganz krasse Mängel bewirken die Nichtigkeit (z.B. Scherztestamente, Testamente zu Lehrzwecken, Entwürfe etc.). Die Verfügungsunfähigkeit des Erblassers, ein bei diesem bestehender Willensmangel, Rechts- oder Sittenwidrigkeiten oder Formmängel der Verfügung können mittels Ungültigkeitsklage angefochten werden. Pflichtteilsverletzungen können mittels Herabsetzungsklage geahndet werden.

a) Verfügungsmängel

Weisen Verfügungen von Todes wegen Mängel auf, können sie angefochten werden. Es besteht ein numerus clausus anfechtbarer Mängel, d.h. eine geschlossene Zahl von Mangel- oder Anfechtungstatbeständen:

  • Nichtigkeitsklage
  • ZGB 519 – 521: Ungültigkeitsklage
  • ZGB 522 – 533: Herabsetzungsklage
  • ZGB 494 III: Klagen wegen Erbvertragsverletzungen (Anfechtung von Verfügungen von Todes oder von Schenkungen, die mit den Verpflichtungen des Erblassers aus einem Erbvertrag nicht vereinbar sind)
  • ZGB 534 – 536: Klagen aus Erbverträgen

b) Grundsätzliche Anfechtbarkeit

Im Erbrecht werden mängelbehaftete Verfügungen grundsätzlich weniger streng sanktioniert als im allgemeinen Vertragsrecht. Mängel bei Verfügungen von Todes wegen bewirken in der Regel daher nicht Nichtigkeit, sondern Ungültigkeit im Sinne von Anfechtbarkeit.

c) Ausnahmsweise Nichtigkeit

Verfügungen können jedoch derart schwerwiegende Mängel aufweisen, dass diese Ungültigkeitsfolge nicht genügt, sondern Nichtigkeit eintreten muss. Das gilt insbesondere bei sog. «Nicht-Testamenten» (z.B. Scherztestamente, Testamente zu Lehrzwecken, Entwürfe etc.). Ob im konkreten Einzelfall eine nichtige oder nur eine ungültige bzw. anfechtbare Verfügung vorliegt, ist nicht leicht zu beurteilen (BGE 129 III 580 ff.). Das gilt mitunter für die Frage, ob ein Schreibmaschinentestament wegen Formmangels nichtig oder anfechtbar ist. 

d) Ungültigkeit von Verfügungen

Ungültig und daher anfechtbar sind Verfügungen mit den folgenden Mängeln

  • Verfügungsunfähigkeit des Erblassers (ZGB 519 I Ziff. 1)
  • Willensmangel beim Erblasser (ZGB 519 I Ziff. 2)
  • Rechts- oder Sittenwidrigkeit der Verfügung (ZGB 519 I Ziff. 3)
  • Formmangel der Verfügung (ZGB 520 und 520a)

e) Verfügungsunfähigkeit

Die Verfügungsfähigkeit muss im Zeitpunkt der Errichtung der Verfügung gegeben sein (ZGB 519 I Ziff. 1). Frühere oder spätere Veränderungen sind belanglos.

Bei letztwilligen Verfügungen setzt die Verfügungsfähigkeit zurückgelegtes 18. Altersjahr und Urteilsfähigkeit voraus (ZGB 467). Bei Erbverträgen ist Mündigkeit, d.h. zurückgelegtes 18. Altersjahr, fehlende Entmündigung und Urteilsfähigkeit verlangt. Der Vertragspartner muss ebenfalls handlungsfähig sein, es sei denn, es liege ein rein begünstigendes Geschäft i.S.v. ZGB 19 II vor. Beim Vertragspartner gilt jedoch die materielle Höchstpersönlichkeit nicht, weshalb er sich gesetzlich oder vertraglich vertreten lassen kann.

f) Willensmängel

ZGB 469 nennt 4 Willensmängeltatbestände:

  • Irrtum
  • Arglistige Täuschung
  • Drohung
  • Zwang

Der Willensmangel nach ZGB 519 I Ziff. 2 muss beim Erblasser vorliegen. Die Auswirkungen eines Willensmangel beim Erbvertragspartner sind umstritten (sinngemässes Vorgehen nach ZGB 519 I Ziff. 2 oder Vorgehen nach OR 31). Umstritten ist sodann, wie und inwiefern ein Willensmangel bereits zu Lebzeiten des Erblassers geltend gemacht werden kann.

g) Formmängel

Beim eigenhändigen Testament besteht der Formmangel zumeist in der fehlenden oder falschen Angabe von Jahr, Monat und Tag der Errichtung (ZGB 505 I). Das Testament wird gemäss ZGB 520a allerdings nur dann ungültig, wenn die Kenntnis des Errichtungsdatums zur Beurteilung der Verfü-gungsfähigkeit des Erblassers oder der Reihenfolge verschiedener Verfügungen erforderlich ist und sich die erforderliche zeitliche Angabe nicht auf andere Weise ermitteln lässt. Seltenere Formmängel sind die fehlende Unterschrift oder die fehlende Eigenhändigkeit.

Bei öffentlich beurkundeten Verfügungen von Todes wegen liegt der Formmangel zumeist in der Mitwirkung von Personen, die selber oder deren Angehörige in der Verfügung bedacht sind (ZGB 520 II). Dieser Mangel führt zur Ungültigkeit der die mitwirkende Person bedenkende Verfügung.

h) Rechts- und Sittenwidrigkeit

Eine Verfügung von Todes wegen, deren Inhalt oder eine ihr angefügte Bedingung (ZGB 519 I Ziff. 3) oder eine mit ihr verbundene Auflage (ZGB 482 II) unsittlich oder rechtswidrig ist, wird für ungültig erklärt. Ist die Bedingung oder Auflage lediglich für andere Personen lästig oder unsittlich, werden sie gemäss ZGB 482 III als nicht vorhanden betrachtet.

i) Privatorische Klauseln

Straf-, Verwirkungs- oder privatorische Klauseln, sind Bestimmungen in Verfügungen von Todes wegen, wie z.B. «wer dieses Testament anficht, wird auf den Pflichtteil gesetzt» oder « … verliert die ihm zugewendete Begünstigung». Gemäss BGE 117 II 239 sind derartige Klauseln grundsätzlich zulässig.

j) Wiederverheiratungsklauseln

Wiederverheiratungsklauseln oder Vidualitätsbedingungen, welche den begünstigten überlebenden Ehegatte im Falle seiner Wiederverheiratung verpflichten, den Kindern Zuwendungen zu machen, sind nach h.L. zulässig und nicht sittenwidrig, wenn dem überlebenden Ehegatten auch im Wiederverheiratungsfall noch gleich viel verbleibt, wie er seinerzeit bei gesetzlicher Erbfolge erhalten hätte.

k) Geliebtenbegünstigung

Eine Geliebtenbegünstigung oder ein Mätressentestament ist sittenwidrig, wenn der dadurch Begünstigte bereits zu Lebzeiten des Erblassers Kenntnis von der Begünstigung hatte und die Verfügung getroffen wurde, um den Begünstigten zur Fortsetzung des ehebrecherischen Verhältnisses und/oder zur Auflösung ihrer eigenen Ehe zu bewegen (BGE 93 II 165 ff., 109 II 15 ff.).

l) Zuwendung an Vertrauenspersonen

Fraglich ist, ob Zuwendungen an Vertrauenspersonen (Rechtsanwälte, Ärzte, Krankenpfleger etc.) des Erblassers die Ungültigkeitsfolge wegen Sittenwidrigkeit haben (BGE 132 III 305 ff.). Vorausgesetzt ist zumindest Kenntnis von der Begünstigung.

m) Herabsetzung von Verfügungen

Verletzt eine Verfügung von Todes oder eine solche zu Lebzeiten die Pflichtteilsrechte von Pflicht-teilserben, kann die Verfügung herabgesetzt werden. Indem die Herabsetzung die Verletzung von Pflichtteilsansprüchen sanktioniert, kann sie als Spezialtatbestand der Ungültigkeit wegen Rechtswidrigkeit bezeichnet werden.

n) Kein Herabsetzungsanspruch

Der Pflichtteilsberechtigte hat jedoch ausschliesslich Anspruch auf den Pflichtteil dem Werte nach (ZGB 522 I). Es gilt das Verkehrswertprinzip. Der Wert des Pflichtteils kann durch Zuwendung des Pflichtteils an den Pflichtteilserben im Sinne einer Erbeinsetzung (ZGB 483), durch Zuwendung eines Vermächtnisses von entsprechendem Wert oder durch entsprechende unentgeltliche lebzeitige Zuwendung befriedigt werden.

o) Herabsetzungswirkungen

Die Wirkungen der Herabsetzung werden wie folgt auf die betroffenen Erben verteilt (ZGB 523 und 525):

  • bei der Herabsetzung zulasten mehrerer Pflichtteilsberechtigter erfolgt die Herabsetzung im Verhältnis der über ihren Pflichtteil hinausgehenden Beträge (ZGB 523)
  • bei der Herabsetzung zulasten von eingesetzten Erben/Vermächtnisnehmern erfolgt die Herabsetzung im gleichen Verhältnis (ZGB 525 I)

p) Herabsetzungsreihenfolge

ZGB 532 bestimmt die Durchführung der Herabsetzung und definiert eine Herabsetzungsreihenfolge. Der Herabsetzung unterliegen gemäss dieser Regel:

  • zuerst die Verfügungen von Todes wegen und
  • danach die Zuwendungen unter Lebenden, wobei bei diesen
  • die späteren vor
  • den früheren herabgesetzt werden

q) Nichtigkeitsklage

Die Nichtigkeit einer Verfügung ist mittels Nichtigkeitsklage geltend zu machen. Sie kann mit der Ungültigkeitsklage verbunden werden (BGE 128 III 318 ff.). Die Nichtigkeitsklage unterscheidet sich von der Ungültigkeitsklage, indem sie:

  • eine Feststellungsklage ist
  • gegenüber jedermann wirkt und von jedermann angerufen werden kann
  • von Amtes wegen zu beachten ist
  • unverjährbar ist

r) Ungültigkeits-/Herabsetzungsklage

Ungültigkeits- oder Herabsetzungstatbestände sind mittels Ungültigkeits- oder Herabsetzungsklage geltend zu machen. Diese Klagen unterliegen der Verjährung bzw. der Verwirkung (ZGB 521, ZGB 533).